der begriff des traumas ist mittlerweile fester bestandteil der alltagssprache geworden. negative und einschneidende erlebnisse werden als trauma bezeichnet, solange unter dem anhaltenden druck des erlebten schreckens auch die zukunft verformt wird.
bewusstsein für die seelischen wunden entstehen, die durch längere latenzperioden gegangen waren. unterschiedliche traumatische vergangenheiten kehrten in die gegenwart zurück. mit der entwicklung der neuen erinnerungskultur erreichte das vergessen sein ablaufdatum.
die grundlegenden verschiebungen, die sich hierbei ergeben, schlagen sich in paradoxien und kippbewegungen nieder. und zwar durch
- leere und überschuss
- subjektbegriff zwischen entleerung und neuer autorisierung
- zusammenfall von vergangenheit und gegenwart
- einbruch des realen und die wiederkehr der realität
in der beschreibung des traumas (wie auch des sublimen und des erhabenens zwischen grenzerfahrung und grössenwahn) eröffnet sich die kluft des WIDERSPRUCHS:
zwischen gegensätzlichen QUALITÄTEN
- exzess
- überschwemmung
- überwältigung
- leere
- entzogenheit
- unzugänglichkeit
diese bipolaren begriffsfassungen haben gewichtige folgen für die verfahren künstlerischer repräsentation. da auf leere, stille und entzug nur mit ikonoklasmus geantwortet werden kann:
form der negativen ästhetik
das schlüsselwort »void« wird zur auratisch-ikonischen formel erhoben
doch nur mit dem bild der architektur wird trauma als ein unzugänglicher und nicht assimilierbarer einschluss visualisiert, der sich allen versuchen der integration ins bewusstsein widersetzt.
mit dem begriff der leere ist auch die metapher der »krypta« verwandt. die krypta lässt sich deshalb als »negativgedächtnis« all dessen beschreiben, dem sich das bewusstsein nicht zu stellen und das
es deshalb auch nicht symbolisch zu codieren vermag.
auf den feldern und im rahmen feministischer, poststrukturalistischer und postkolonialer diskurse war das autonome, selbst autorisierte und selbstverantwortliche subjekt ohnehin als die westliche konstruktion entlarvt worden:
- authentizität (individuelle echtheit / unverwechselbarer wesenskern)
- qualität des unverfügbaren (pathologische unverfügbarkeit)
der zusammenfall von vergangenheit und gegenwart hat mit dem verlust der klaren differenz zu tun. die erfahrung (oder gerade nicht erfahrung) der traumatischen vergangenheit dringt andauernd in die jeweilige gegenwart ein. diese paradoxe durchkreuzung der gängigen zeitordnung ist immer wieder neu zu umschreiben. trauma bezieht sich häufig auf ein oder das ereignis. das nicht zurücksinkt in die vergangenheit; es kann demnach auch nicht vergegenwärtigt, zurückgeholt werden, weil es ja immer noch gegenwärtig ist.
es hat folgen für die grundfragen nach dem verhältnis von realität und repräsentation.
»realität« ist das, was die menschliche lebenswelt ausmacht und praktisches handeln erfordert. realität in diesem sinn ist das gegenteil von «konstruktion» als einer oder der kollektiven fiktion. die fiktion, in die sich die menschen einspinnen und/oder gesponnen haben. die fäden und das gewebe, welches sich nach autopoetischen regeln selbst produziert. realität steht deshalb heute auch für referenz. damit auch für das, was aus dem selbstgenügsamen symbolsystemen der postmoderne hinausweist auf:
- gegenstände
- empirische evidenz
- emotionalität
- wahrheitsgehalt
- harte fakten
- autorschaft
- erfahrung
die avantgarde am anfang des 20. jahrhunderts hatte gegen den realismus mit den waffen der abstraktion und des surrealismus etc. gekämpft; die avantgarde am ende des 20. jahrhunderts wendete sich gegen die simulacra (wirklichen und vorgestellten dinge) der postmoderne mit dem trauma und der erneuerung der referenz. es sieht so aus: «als sei das reale, das die poststrukturale postmoderne verdrängt hatte, als trauma zurückgekehrt» – diese erkenntnis ist nicht von mir, sondern von Hal Foster aus The Return of the Real 1996, S. 146-166
KÜNSTLERISCHE PRAKTIKEN
Verbindungen zwischen Popart und Trauma zieht Hal Foster. In den nahezu zwanghaften Gesten der WIEDERHOLUNG, die die weltberühmten seriellen Bildcluster von Andy Warhol mit Sujets wie Marilyn Monroe, Campbell Tomatensuppe und Brillo Box (Soap Pads 1964) etc. organisiert, sieht er nicht nur die paradoxe Gleichsetzung von Referenzen. Gegenstandsbezug des Bildes und Betonung des Simulacrums, sondern auch die Verbindung zum Trauma. Foster spricht in diesem Zusammenhang von der (individuellen und kollektiven) Trauma-Abwehr: die immer zwischen Affektüberschuss und Affektlosigkeit angesiedelt ist.
Die entscheidende künstlerische Strategie ist und bleibt dabei die Geste:
Mechanische Wiederholung
Die in solchen Wiederholungsakten vollzogene Annäherung des Künstlers an die Maschine verspricht die befreiende Reinigung von menschlichen Sinngebungen und Affekten. Die allerdings nur denjenigen zugänglich wird, die selbst unter dem Schock oder dem Exzess von Affekten “leiden”, die Unruhe, Nervosität, Aufregung und Ungeduld erzeugen können. Diese Kunst, die einen unverhohlen autistischen Zug hat, interpretiert Foster als den Schutzschild gegen Verletzung und Trauma. In diesem Sinne zitiert er Warhol mit dem Satz: »Ich mag langweilige Dinge«. Langeweile und Langweiligkeit möchte jede-r jedoch nach Möglichkeit heute gerade vermeiden.
Hierdurch werden hybride Rollen Produser – »Produsing» – im 90 sec. Takt mit Sanduhr und Wecker eingeführt.
Neben der künstlerischen Praxis der mechanischen Wiederholung, die das Reale unter Simulation verdeckt, werden weitere künstlerische Praktiken und Varianten des »punctum» gezeigt, die mit der Bearbeitung der Oberfläche des Bildes einhergehen. Der Begriff »punctum« stammt von Roland Barthes, wie bereits in anderen Blogs erwähnt wurde.
Zusammen mit dem Begriff «studium» in seiner Analyse der Wirkungsweisen und Interaktionsformen mit Fotografien eingeführt hat. Auf Videoaufzeichnung im fotografischen übertragen lassen. Während «studium» den langen und eher meditativen Blick bezeichnet, der immersiv in das Dargestellte eindringt, steht »punktum« für ein affektives Berührtwerden vom Bild, das über Brüche, Schocks und Abschnitte führt. Barthes beschreibt das »punctum« als Aktivität, die vom Bild ausgeht. Wobei jedoch – ähnlich wie beim Trauma – offenbleibt, was hier externe und interne Bewegung ist: Dies Element ist es, das aus der Szene herausfällt. Wie ein Pfeil herausschiesst, m-ich durchbohrt.
Dies geschieht nicht auf der Ebene des Dargestellten. Sondern durch das »Verwischen und Verschmieren, Bleichen und Auslöschen, Erhitzen und Verbrennen, Verkleben und Zukleistern, Zerschneiden und Zerstückeln, Vervielfältigen und Kolorieren der Bilder«
In scharfen Gegensätzen zu Warhols überdeutlich konturierten seriellen Bildern entziehen zum Beispiel Gerhard Richters Techniken des Verschwimmens das Bild dem gierigen und gedankenlosen Zugriff der Betrachtenden. Hiermit wird nicht nur eine entgegengesetzte Strategie der Aufmerksamkeit verfolgt, sondern durch dies Unkenntlichmachen wird das Dargestellte verwandelt. Durch das Unkenntlichmachen des Dargestellten werden Fotografien in Erinnerungsbilder verwandelt. Damit werden sie aus dem maschinellen Speicher und Reproduktionsapparat sowie Familienalbum, Buch oder Dokument in das unzuverlässige und versehrte menschliche Gedächtnis zurückgeholt.
Zum traumatischen Realismus sind auch Formen der expressiven Ästhetik zu rechnen, die Joseph Beuys’ Imperativ »Zeige deine Wunde!« folgen. Neben der Ausstellung von Wunden in der Ästhetik des Körpers und des Abjekten, des Schmerzes und der Betroffenheit besteht die weitere wichtige Funktion der Künste heute in der Übernahme der kulturellen Aufgabe der (sekundären) »Zeugenschaft«. Indem sie für das widerständige Erlebnis die kommunizierbare Form ästhetisch finden und es in gemeinsame Erfahrung übersetzen.
Bezeugt wird dabei die belastende Realität, die gesamtgesellschaftliche Verbindlichkeiten beansprucht, doch von der Gesellschaft noch nicht erkannt wird oder noch nicht ausgedrückt werden kann. In dieser Situation hat die Kunst selbst Anteil an der paradoxen Produktivität und Produsing. In den Künsten gehen Darstellungsformen und Reflexionsformen sowie Aufzeichnungsformen der Experimental-Systeme und Räume ineinander über. Was bedeutet, dass diese Werke auf ihre je eigene Art und Weise auch einen bedeutenden Beitrag leisten
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